„Simplicissimus“

Der „Simplicissimus“ war eine satirische Wochenzeitschrift (1896–1944), die mit ihren Beiträgen auf die wilhelminische Politik, die bürgerliche Moral, die Kirchen, die Beamten, Juristen und das Militär zielte (Wikipedia). Rund 100 Beiträge aus rund 50 Jahren zielten auf Homosexuelle, womit ich vor allem Karikaturen, aber auch Textbeiträge wie Gedichte meine. Seit mehreren Jahren sind alle Ausgaben vom „Simplicissimus“ auch online verfügbar, zusammen mit der sozialdemokratischen Satirezeitschrift „Der wahre Jacob“ (1879–1933) und der Kunst- und Literaturzeitschrift „Jugend“ (1896–1940). Alle 100 recherchierbaren Beiträge aus dem „Simplicissimus“ habe ich hier auf meiner Homepage chronologisch aufgelistet und verlinkt. Auf queer.de habe ich eine Zusammenfassung aller Beiträge vorgestellt (Die Verlinkung erfolgt, wenn der Beitrag dort erscheinen ist).

Ungefähr die Hälfte aller Beiträge beziehen sich auf die Harden-Eulenburg-Affäre. Die Heftnummern orientieren sich nicht am Jahr, sondern an der Jahrgangszählung. Deshalb ist im Jahr 1908 das Heft 43 vor dem Heft 6 erschienen Es gibt elf Cover, die Homosexualität thematisierten: Sie erschienen 1907 (Nr. 12, 30, 33, 34, 36), 1908 (Nr. 43, 6, 8, 10, 17) und 1909 (40). Das Heft 33 von 1907 ist ein Sonderheft zur Harden-Eulenburg-Affäre.

James Steakley hat in seinem Buch „Die Freunde des Kaisers“ (2004) die Karikaturen zur Eulenberg-Affäre in inländischen und ausländischen Zeitungen analysiert. Dabei geht er auch auf neun Karikaturen aus dem „Simplicissimus“ ein, die in seinem Buch u.a. auf den S. 88, 97, 108, 129, 141 und 162 abgedruckt wurden, wozu auch die farbigen Karikaturen Nr. VI, VII (zwischen S. 64-65) und X (zwischen S. 144-145) gehören. Im Rahmen der Bibliographie habe ich diese Karikaturen mit „Auch bei Steakley“ bezeichnet. Es ist nicht immer eindeutig festzustellen, welche öffentlichen Diskussionen welche Karikaturen beeinflussten und ob eine Karikatur überhaupt in einem homosexuellen Zusammenhang steht. Siehe dazu die Hinweise zu den Karikaturen vom 18. November 1907 (S. 547) und 6. Februar 1911, bei der sich über Steakley zumindest eine homosexuelle Rezeption belegen lässt.

Die Beiträge im „Simplicissimus“ sind viel zu unterschiedlich, als dass man eine Linie der Zeitschriftenredaktion davon ableiten könnte. Vermutlich war die Linie der beitragenden Personen viel bestimmender als die Linie der Zeitschriftenredaktion. Im Buch von James Steakley fehlen leider die Hinweise, aus welcher Feder die jeweiligen Karikaturen kommen, die – ähnlich wie die Verfasser eines Buches – mitgenannt werden sollten, weil die einzelnen beitragenden Personen erkennbar eigene Handschriften, bestimmte Lieblingsthemen, politische Meinungen und unterschiedliche Herangehensweisen hatten. Am Ende der Bibliogrpahie stelle ich die wichtigsten Autoren und eine Autorin vor, wobei Ernst Barlach und Erich Kästner wohl die prominentesten sind.

Simplicissimus, 1907/1908. 12. Jg.

(17.06.1907: Heft 12: Cover: Eulenburg“. Karikatur auf dem Cover über Affäre Eulenburg. Die Ausrottung der Giftpflanze Kamarilla. S. 181. Von Thomas Theodor Heine.

(17.06.1907: Heft 12: „Der Liebensberger Spuk“. Gedicht zur Affäre Eulenburg. Phili als Kosename. Die einstürzende Hintertreppe (anale Anspielung) S. 195. Von Edgar Steiger.

(24.06.1907: Heft 13: „Kamarilla“. Gedicht zur Affäre Eulenburg S. 198. Kamarilla am Hofe „es stinkt“. Von Peter Schlemihl.

(24.06.1907: Heft 13: „Aus Süd und Nord“. Gedicht über Harden, Spinat und Affäre Eulenburg S. 211. „Was kocht Herr Harden noch Spinat?“ Von Ratatöskr. Pseudonym von Hans Erich Blaich.

(21.10.1907: Heft 30: „Flucht vor dem Prozeß“. Karikatur auf dem Cover zu Harden/Moltke S. 463. „Reist denn alles nach dem Süden?“. Von Wilhelm Schultz.

(21.10.1907: Heft 30: „Berlin W.“ wenn es herauskommt, dass ich normal bin. S. 478. Ferdinand Freiherr von Rezniček.

(28.10.1907: Heft 31: „§ 175“. Karikatur zu § 175 und Affäre Eulenburg S. 480. Ein Mann wird mit Dienstmädchen erwischt und rechtfertigt sich damit, dass er sich rehabilitieren muss. Von Peter Zankel.

(04.11.1907: Heft 32: „Moltke ― Harden“ u.a. mit der Zeile Diese Frage liegt nun so – homo oder hetero?“ Gedicht: Affäre Eulenburg, Prozesse Harden/Moltke S. 498. Von Peter Schlemihl.

(04.11.1907: Heft 32: „à la Eulenburg“. Karikatur zur Affäre Eulenburg S. 498. Mit zwei Spritzen Morphium vor Gericht schleppen. Von Rudolf Wilke.

(11.11.1907: Heft 33: (Sondernummer mit insgesamt 16 Beiträgen): Cover: „Vom neuen Dornröschen-Schloss“ S. 515. Von Hermann Baur (Das ist das Pseudonym von Th. Th. Heine. Verzaubert, dichte Hecke, keine Rosen. Dunkle Wolken)

(11.11.1907: Heft 33: „Skizzen aus dem Gerichtssaal“. S. 516. Von Ernst Heilemann. (Zeichnungen zum Prozesse Harden/Moltke ohne erkennbaren satirischen, sondern nur dokumentarischem Wert).

(11.11.1907: Heft 33: „Wer treu gedient hat seine Zeit“. Karikatur § 175 S. 517. Von Ernst Heilemann. (eine bunte Zeichnung von einem Rittmeister. Auch bei Steakley, zwischen S. 64 und S. 65).

(11.11.1907: Heft 33: „Gestörtes Glück“. Karikatur zum § 175 S. 518. zu 175 – Eduard Thöny.

(Einer von vier Beiträgen auf S. 518. Weil sein Bursche im Arrest ist, ist der Major jetzt Strohwitwer)

(11.11.1907: Heft 33: „An die Herren Hofprediger“. Gedicht, Affäre Eulenburg S. 518. Über „Unkraut“ und „Saustall“. Ein Gedicht Peter Schlemihl. (Einer von vier Beiträgen auf S. 518.

(11.11.1907: Heft 33: „Eine Frage“. Gedicht an Prof., S. 518. Magnus Hirschfeld kann nicht gemeint sein, weil er kein Professor war. Es geht um „geheime Laster“ und verbotenen Seelenkämpfe. Gedicht von Schlenker F. (Einer von vier Beiträgen auf S. 518.

(11.11.1907: Heft 33: „Prozeß Moltke“. Gedicht. Prozesse Harden/Moltke S. 518. Kritik an öffentlich erörterten „Schmutz“. (Einer von vier Beiträgen auf S. 518. Autor ist unbekannt)

(11.11.1907: Heft 33: (Sondernr. mit 16 Beiträgen) „Die Geheimnisse der Adlervilla“. UT: „Hausball bei Graf Lynar“. Karikatur Mann in Frauenkleidern auf Hausball, Anspielung Lynar S. 519. Von Jules Pascin.

(11.11.1907: Heft 33: (Sondernr. mit 16 Beiträgen). „Biblische Zustände“. Karikatur, Affäre Eulenburg S. 520. Berlin ist Sodom und Gomorrha, Schwefelregen wird nicht ausbleiben. Von dem Ernst Heilemann.

(11.11.1907: Heft 33: (Sondernr. mit 16 Beiträgen). „In der Ahnengruft“. Karikatur Affäre Eulenburg S. 527. Liebenberger Tafelrunde. Von Ernst Barlach.

(11.11.1907: Heft 33: (Sondernr. mit 16 Beiträgen). „Zerstörte Ideale“. Karikatur, § 175, Affäre Eulenburg S. 527. Aus einem Leutnant wird General Tütü. Von Rezniček.

(11.11.1907: Heft 33: (Sondernr. mit 16 Beiträgen). „Der Amormesser“. Dialog, Prozesse Harden/Moltke S. 531. Von Robert Meier.

(11.11.1907: Heft 33: (Sondernr. mit 16 Beiträgen). Ohne Titel. Karikatur von einem Soldaten S. 531. Von Eduard Thöny. (Im Kontext dieser Seite geht es auch hier um Homosexualität)

(11.11.1907: Heft 33: (Sondernr. mit 16 Beiträgen). „Jus primae noctis“. S. 531. Männer tanzen nicht mehr mit Töchtern, sondern mit Söhnen. Hämorrhoiden. umgekehrter „Jus primae noctis“. Gedicht von Edgar Steiger.

(11.11.1907: Heft 33: (Sondernr. mit 16 Beiträgen). „Harden“. Gedicht S. 531. Es stinkt, Harden steckt Nase rein. „Mißlingst von vorn, gelingt’s evt. A Posteriori“ (=hintere, folgende). Gedicht von Ratatöskr (d.i. Hans Erich Blaich).

(11.11.1907: Heft 33: (Sondernr. mit 16 Beiträgen). „Anstatt der Misshandlungen“. Karikatur S. 532. über Vorgesetzte, die „ihre Untergebenen direkt mit Liebe“ behandeln. Von Eduard Thöny. (Auch bei Steakley, zwischen S. 144 und S. 145).

(18.11.1907: Heft 34. Cover: „Marquis Posa Harden“. S. 533. Fäkalien und die Ausschüttung des Nachttopfes mitten in der Oper. Von Olaf Leonhard Gulbransson. (Heft mit acht Beiträgen).

(18.11.1907: Heft 34. „Eine Rede in Windsor“. Karikatur zur Affäre Eulenburg S. 534. Von Olaf Leonhard Gulbransson. (Heft mit acht Beiträgen).

(18.11.1907: Heft 34). Ergebenstes Ersuchen an die Berliner“. Gedicht zum § 175 S. 534. Von Peter Schlemihl. (Heft mit acht Beiträgen).

(18.11.1907: Heft 34). „Schmutzige Wäsche“. Karikatur zur Affäre Eulenburg, Holstein S. 536. Von Karl Arnold. (Heft mit acht Beiträgen).

(18.11.1907: Heft 34. „Protest“. Farbige Karikatur Berliner Friedrichstraße S. 547. Von Ernst Heilemann. (Heft mit acht Beiträgen). (Auch bei Steakley, S. 141, der einen Zusammenhang mit Homosexualität sieht).

(18.11.1907: Heft 34. „Antinous“. Text über Italien und milden Gesetze“ S. 547. Von Mahatma, aber unbekannter Autor. (Heft mit acht Beiträgen).

(18.11.1907: Heft 34. Die Freistatt“. Gedicht zum § 175 S. 551. Von Edgar Steiger: (Heft mit acht Beiträgen).

(18.11.1907: Heft 34. Armeeverordnung und ein Oberstabsarzt. Karikatur. Flügel am Po, die höher sollen. S. 552. Von Eduard Thöny. (Heft mit acht Beiträgen).

(25.11.1907: Heft 35. „Bülow-Brand“. Karikatur zum Bülow Brand-Prozess S. 567. Von Rudolf Wilke.

02.12.1907: Heft 36: Cover: „Die Jagd auf Harden“. S. 573. Von Th. Th. Heine (Es ist eine Sondernummer, aber es ist unklar für welches Thema)

(13.01.1908: Heft 42: Die Gerichtsverhandlung im Spital“. Text und Karikaturen zu Magnus Hirschfeld, Prozesse Harden/Moltke und Affäre Eulenburg S. 700. Von Olaf Gulbransson. (Inhalt ist der kranke Eulenburg)

(20.01.1908: Heft 43: Cover ! Lohn der Arbeit“. Der preußische Aar ist weiß gewaschen. SW: Schmutz. Karikatur auf dem Cover zum zweiten Harden-Prozess S. 701). Von Olaf Gulbransson.

Simplicissimus, 1908/1909. 13. Jg.

06.04.1908: Heft 1: Ansichtskarten“. Unten links Karikatur gegen Magnus Hirschfeld. Gruß aus dem WHK mit einem sehr femininen Mann. S. 5. Von Th. Th. Heine

11.05.1908: Heft 6: Cover: „Frühling am Starnberger See“. Karikatur über Affäre Eulenburg S. 97. Mit den zwei Bauern Von Th. Th. Heine. (Auch bei Steakley, zwischen S. 64 und S. 65).

11.05.1908: Heft 6: „Betreff Lynar, Hohenau, Eulenburg et cetera pp“. Karikatur zur Affäre Eulenburg, Hohenau S. 98. Bülow sagt was zu. Von Eduard Thöny.

11.05.1908: Heft 6: „Der neue Stil“. Gedicht zur Affäre Eulenburg S. 98. Es wird kritisiert, dass Herr von Isenbiel offenbar unbedingt einen Freispruch haben möchte. Gedicht von Peter Schlemihl.

18.05.1908: Heft 7: „Vor Schloß Liebenberg“. Karikatur zur Affäre Eulenburg S. 132. Justitia geht an Krücken und droht bei diesem Skandal ohnmächtig zu werden. Von Wilhelm Schulz.

25.05.1908: Heft 8: Cover: „Die Wirkung auf das Ausland“. Frauenfeindliche Karikatur auf Cover zu §175, Affäre Eulenburg S. 133. Von Th. Th. Heine. (Auch bei Steakley, S. 108).

08.06.1908: Heft 10: Cover: „Auf den Spuren Eulenburgs“. Karikatur auf dem Cover zu Affäre Eulenburg S. 165. Der Fürst hat ihm hier die Liebe gestanden. Von Th. Th. Heine. (Auch bei Steakley, S. 88).

22.06.1908: Heft 12: „Cäsaren-Unglück“. Karikatur zu den Briefen in der Affäre Eulenburg S. 203. Wie Theateraufführung. „O Phili, gib mir meine Briefe wieder“. Von A. Durrer (d.i. Olaf Gulbransson. Auch bei Steakley, S. 97).

06.07.1908: Heft 14: Der eiserne Besen“. Text zu § 175 und der Affäre Eulenburg S. 238. Langer Text von Karl Kraus.

27.07.1908: Heft 17 mit drei Beiträgen: Cover: „Die Kamarilla ist tot – es lebe die Kamarilla“. Karikatur zu Affäre Eulenburg S. 285. Von Olaf Gulbransson.

27.07.1908: Heft 17 mit drei Beiträgen: „Ein Zeuge aus dem Eulenburg-Prozeß“. Karikatur zu Affäre Eulenburg. Auf Schiff. Nicht noch, sondern schon besoffen. Witz über Alkohol S. 286. Von Rudolf Wilke.

27.07.1908: Heft 17 mit drei Beiträgen: „Der Zug nach dem Süden“. Karikatur zu Italien und § 175 S. 300. Italien ist das „Land unserer Sehnsucht, wo es keinen Pragraph 175 gibt. Von Rudolf Wilke.

03.08.1908: Heft 18 mit drei Beiträgen: „Nach Eulenburgs Sturz“. Karikatur zu Affäre Eulenburg S. 305. Unklar über „Sang an Aegir“. Von Eduard Thöny.

03.08.1908: Heft 18 mit drei Beiträgen: Entwicklung“. S. 315. Karl Kraus zitiert im Kontext der Homosexualität von Eulenburg die Bibel, wo auf Sodom Schwefel regnet.

03.08.1908: Heft 18 mit drei Beiträgen: „Der Versuch auf der eingeseiften Kletterstange“. Karikatur Affäre Eulenburg S. 316. Die Äußerung Justitia, dass wenigstens versucht wurde Eulenburg zu fassen. Von Gulbransson.

10.08.1908: Heft 19: Der Blitzableiter“. Gedicht zum § 175 S. 331. Von Edgar Steiger: Es geht um eine neue Zeit und um Bülow. Es ist die „Zeit des § 175“.

14.12.1908: Heft 37: Martin Beradt: Der Mann ohne Ehre“. Unklarer Text zum § 175 S. 624-626. Zweite Zeile: Ein Mann sucht einen Job und möchte „alles kennen lernen … Schuhputzen, Logenschließen, den § 175 und so weiter“. Auf S. 625 kauft er sich eine Nutte.

04.01.1909: Heft 40: Cover: Die neue Kamarilla“. Eine Hydra und kein Herkules. Karikatur auf dem Cover zu Affäre Eulenburg S. 681. Von Th. Th. Heine.

Simplicissimus, 1909/1910. (14. Jg.:

17.05.1909: Heft 7: Frühlingsausflug des Berliner Damenklubs“. Karikatur zur möglichen Ausweitung der Strafbestimmung auf Lesben, § 175, lesbisch S. 106. Zwischen zwei Lesben wir nie ein Mann stehen – aber vielleicht ein Schutzmann. Von Th. Th. Heine. (Auch bei Steakley, S. 162).

31.05.1909: Heft 9: Ein merkwürdiger Fall“. Karikatur zur Affäre Eulenburg. Harden hat Holstein sein Gift abgezapft, woraufhin dieser starb. S. 151. Von Olaf Gulbransson.

31.12.1909 (1910 offenbar ein Druckfehler): Heft 54: Der neue Kanzler“. Zur Affäre Eulenburg: Eulenburg wurde „hinterrücks angeschwärzt“ S. 2. Links Mitte. Th. Th. Heine.

Simplicissimus, 1910/1911. (15. Jg.

04.07.1910: Heft 14: „Ministerwechsel“. Gedicht zum Prozess Harden/Moltke S. 230. Von Ratatöskr.

16.01.1911: Heft 42: Rechenexempel“. Karikatur zum § 175 S. 731. Unklar. Der Herr Graf ist 781 geworden. 175 und 606. Von Adalbert von Paulini (Unbekannter Autor).

06.02.1911: Heft 45: „Neue Ziele in der Frauenbewegung“ Die Emanzipation des Mannes: Eine maskuline Frau will alle Männer niederknallen. Cover S. 765. Von E-Thöny (Auch bei Steakley auf S. 128-129 mit falscher Quellenangabe. In dieser Karikatur sieht Steakley eine Verbindung zur zeitgenössischen Diskussion, dass die wachsende Homosexualität auch den Aufstieg der Frauenemanzipation unterstütze).

27.02.1911: Heft 48: Schicksale der Justitia“. Kleine Karikatur über Harden und Affäre Eulenburg S. 817. Links zweites von oben: Unklar: „Im Hardenfeldzug wurde ihr die Nase eingetrieben. Von Wilhelm Schulz.

Simplicissimus, 1911/1912. (16. Jg.:

20.11.1911: Heft 34: Der Konzertpatriot“. Karikatur zur Affäre Eulenburg S. 578. Vier Zeichnungen, in denen Harden mit Reichskanzler mit Sekt anstieß. Von Olaf Gulbransson.

Simplicissimus, 1919/1920. (24. Jg.:

01.07.1919: Heft 14: Ein Text zu Affäre Eulenburg: Jener ältere Herr im Grunewald“ S. 185. Von Emanuel (d.i. Fritz Hermann Schwynert). Mit „Hosentüren von Liebenberg“, „parfümierter Handschuh“ und „Zukunft“ werden Codewörter für den Skandal verwendet.

Simplicissimus, 1920/1921. (25. Jg.)

02.06.1920: Heft 10: Eine Karikatur zum § 175. Berliner Wahlkämpfe“ S. 148. Eduard Thöny.

Simplicissimus, 1921/1922. (26. Jg.)

01.04.1921: Heft 1: Karikatur zu § 175 und Magnus Hirschfeld: Hirschfeldiana“ S. 11. Von Eduard Thöny. (Aus meinem Artikel zum Jahr 1924: „Die Karikatur "Hirschfeldiana" (1. April 1921, S. 11) stellt einen Bezug zu Magnus Hirschfeld her und macht sich darüber lustig, dass Schwule auch die prekäre Wirtschaftslage nutzen, um gegen den § 175 zu argumentieren, wobei es als lustig angesehen wird, dass ein stereotyp dargestellter Unternehmer seinen Sekretär als "Fräulein" anspricht.“)

Simplicissimus, 1922/1923 (27 Jg.)

Ohne Treffer

Simplicissimus, 1923/24. (28. Jg.)

30.07.1923: Heft 18: Karikatur über § 175, Lesben und Wort schwul: Berliner Bilder XXI. Schwuhl“ S. 224. Von Karl Arnold. (Aus meinem Artikel zum Jahr 1924: „Die zweite Karikatur über lesbischen Frauen unter der Überschrift "Schwuhl" (30. Juli 1923, S. 224) variiert das in damaligen Darstellungen der Homosexuellenszene nicht selten auftretende Motiv der "verkehrten Welt", in der das "Perverse" als "normal" gilt“)

Simplicissimus, 1924/25 (29. Jg.)

29.09.1924: Heft 27: Karikatur über Lesben: Wie sag ich's meinem Kinde“ S. 364. Von Karl Arnold. (Aus meinem Artikel zum Jahr 1924: Eine zweite Karikatur erschien zwei Monate vorher unter der Überschrift "Wie sag ich's meinem Kinde?" (29. September 1924, S. 364). Hier sieht man eine junge Frau, die mit Männern ausgehen soll, gegenüber der Mutter aber offen zugibt, "pervers" zu sein. Der Humor dieser Karikatur lässt sich unterschiedlich deuten.)

22.11.1924: Heft 35: Karikatur über den § 175: Sittlichkeit“ S. 484. Von Eduard Thöny. (Aus meinem Artikel zum Jahr 1924: Die Karikatur bezieht sich auf knapp und "unzüchtig" bekleidete Frauen, die sich wundern, warum der Staatsanwalt gegen sie vorgehe, denn eine der beiden Damen betont: "Wir stehen doch auch im Kampf gegen die Homosexuellen." Auch wenn sich die Karikatur vor allem gegen Doppelmoral und nicht gegen Homosexuelle richtet, bleibt unklar, ob auch Homosexuelle darüber lachen konnten).

Simplicissimus, 1925/26 (30. Jg.)

04.05.1925, Heft 5: Karikatur über lesbische Frauen: „Lotte am Scheidewege“ S. 79. Von Karl Arnold. (Aus meinem Artikel zum Jahr 1924: „Die Satire-Zeitschrift "Ulk. Illustriertes Wochenblatt für Humor und Satire" erschien seit 1872 als Beilage und seit 1922 als selbständige Zeitschrift. In der Karikatur "Die vermännlichte Damenmode" ("Ulk", Heft 41, 24. Oktober 1924, S. 162) macht ein Kellner einen vermeintlichen Herrn darauf aufmerksam, dass dieser wohl aus Versehen gerade die Damentoilette aufsuchen möchte. Dies lässt sich gut mit der Karikatur "Lotte am Scheideweg" aus dem "Simplicissimus" vergleichen, die ein halbes Jahr später erschien (4. Mai 1925, S. 79). Im "Ulk" geht es "nur" um eine für die damalige Zeit genderfluide Bekleidung, die zu einem Missverständnis bei der Toilettenwahl führt. Der "Simplicissimus" geht weiter und handelt auch von genderfluiden Identitäten – dargestellt durch Lotte, die raucht (was lange nur für Männer als schicklich galt) und dabei aus "männlichen" und "weiblichen" Elementen kombinierte Kleidung trägt. Über Identitäten und geschlechtsspezifische Kleidung wird bis heute leidenschaftlich gestritten. Auch bei den heutigen Diskussionen über genderneutrale Toiletten lassen sich Parallelen zur Lotte-Karikatur sehen, auf die queer.de schon früher verwiesen hat.

Simplicissimus, 1926/1927 (31. Jg.)

12.04.1926: Heft 2: Karikatur über Geschlechtsangleichung: Die Mutter“. Frage ob Bub oder Mädchen „Sie stellen sich ja später doch um“ S. 40. Von Olaf Gulbransson (1916-1961).

21.02.1927: Heft 47: Gedicht über § 175 von Peter Scher: Entartet“ S. 622.

21.02.1927: Heft 47: Karikatur über lesbische Frauen: Legitim“ S. 640. Von Ludwig Kainer.

07.03.1927: Heft 49: Lesbischer Beitrag: Das Alibi“. S. 656. Von Ludwig Kainer.

Simplicissimus, 1927/1928. (32. Jg.)

18.07.1927: Heft 16: Karikatur über lesbische Frauen: Die Frau im Rechtsleben. Die Lustmörderin“ S. 216. Von Eduard Thöny.

12.09.1927: Heft 24: Karikatur über Prostituierte und schwule Männer: Verwirrung der Gefühle“. Matrosen als Kundschaft oder Konkurrenz S. 323). Von Dugo (d.i. Andor Szenes)

24.10.1927: Heft 30: Text über ein Berliner Schwulen- und Lesbenlokal: Hans Bauer: Die Wahl“ S. 394.

21.11.1927: Heft 34: Karikatur zur Affäre Eulenburg: Harden im Himmel“ S. 459. Von Olaf Gulbransson.

12.12.1927: Heft 37: Karikatur über lesbische Frauen: Crème“ S. 500. Von Ludwig Kainer.

30.01.1928: Heft 44: Zu lesbischen Frauen: Josephine Baker kommt. Jubel auf Lesbos“ S. 602. Von Karl Arnold.

13.02.1928: Heft 46 (mit drei Beiträgen): Karikatur über lesbische Frauen: Schöpfungstragödie“ zu sexuellen Zwischenstufen S. 620. Von Olaf Gulbransson.

13.02.1928: Heft 46 (mit drei Beiträgen): Text über das Berliner Eldorado und deren Toilette: Kontrahage“ S. 629. (Titel heißt Verabredung zu einem Duell. Ein Text über Königsberg, Eldorado und Anders als die Andern und ein Treffen auf der Toilette, was sich wohl auf Hirschfeld bezieht. Unbekannter Autor)

13.02.1928: Heft 46 (mit drei Beiträgen): Text über „Sepp“ S. 632. Früher Josephine jetzt Joseph bzw. Sepp. Die Kleidung des anderen Geschlechtes wird als „Maskerade“ bezeichnet. Sepp weißt auf seine Fußballbeine hin und es wird viel getrunken. Von „H.“ (ein nicht erschlossenes Pseudonym).

20.02.1928: Heft 47 (mit zwei Beiträgen): Text: „Der Transvestit“ im Schwabinger Bräu S. 640. Ein Transvestit setzt sich auf den Schoss von einem Professor, der ihn für eine Frau hält und erregt ist. Autor unbekannt.

20.02.1928: Heft 47 (mit zwei Beiträgen): Karikatur: Abseits vom Taumel“ S. 642. Frauen haben für Männer gar keine Verwendung mehr. Von Eduard Thöny.

Simplicissimus, 1928/1929. (33. Jg.)

08.10.1928: Heft 28: Karikatur über lesbische Mädchen: Die Sechzehnjährigen“ S. 358. Tipp unter Sechszehnjährigen: Kontakt zu einem Mann aufgeben, weil dieser normal. Von Erwin von Kreibig.

01.01.1929: Heft 40: Über Magnus Hirschfeld: Lieber Simplicissimus!“ S. 525. Eine Frau ist amüsiert, weil sie in einem Vortrag von Magnus Hirschfeld etwas gehört hat über die Befruchtung der Frau. Unbekannter Autor.

28.01.1929: Heft 44: Karikatur über Magnus Hirschfeld: Stadtrat Nagels machen mit“ S. 568. Ein Junge muss auf einer Party beschützt werden. Auf der Party ist auch Hirschfeld vom anderen Ufer. Von Olaf Gulbransson.

Simplicissimus, 1929/1930. (34. Jg.)

08.04.1929: Heft 2: Karikatur über Magnus Hirschfeld: Aus dem Vollen“ S. 19. Mit Text: ein Zeitungsverkäufer propagiert Magnus Hirschfeld und ein Musiker spielt ‚ich küsse ihr Hand Madame‘. Von George Grosz

11.11.1929: Heft 33: Berliner Brief“ mit Erwähnung von § 175 S. 401. Die Aufhebung des § 175 hat keine großen Wellen geschlagen. Es ist die Gleichberechtigung von Frau und Mann. Von Kaki (d.i. Reinhard Koester).

13.01.1930: Heft 42: Gedicht über sexuelle Zwischenstufe und Magnus Hirschfeld: Im Eldorado zu singen“ S. 516. Von einer sexuellen Zwischenstufe, die viel Geld verdient, im Museum ausgestellt ist und mit jeder Sex haben möchte. Von Karl Kinndt (d.i. Reinhard Koester).

Simplicissimus , 1930/31. (35. Jg.)

04.08.1930: Heft 19: Erich Kästner: Ragout fin de siècle“ S. 226. Ein Gedicht über die sexualpathologischen Tanzlokale. Es ist Kästner egal, wer mit wem Sex hat, aber „schreit nicht dauernd wie am Spieß“. (Sarkastisches Gedicht, Als gesprochener Text auch in Ralf J. Raber: „Ich will, dass es das alles gibt! – Homosexualität auf Schallplatte, Teil 2 (1952-1976)“ als gesprochener Text enthalten).

15.09.1930: Heft 25: Karikatur über einen eigenen schwuler Partei-Kandidaten: Immer noch nicht genug Parteien“ S. 297. Bild Eduard Thöny.

08.12.1930: Heft 37: Karikatur über weibliche Vornamen: Freunde“ S. 437. „Hör mal, Fritz, von heute an, nenne ich dich ‚Friederike‘, das entlastet seelisch ‚n bißchen“. Von M. Frischmann. (d.i. Marcel Frischmann).

Simplicissimus, 1931/32. (36. Jg.:

06.04.1931: Heft 1: Klawuttke meckert sich eins“. Erwähnung des § 175. S. 10. Der Staatsanwalt nimmt es mit dem 175 – im Gegensatz zum § 218 (Abtreibung) – nicht so genau, obwohl auf diesem Weg auch keine Kinder gezeugt werden. In Berlin gibt es viele Lokale, wo es Grund zum Eingreifen genug geben würde. Es schädigt das Ansehen im Ausland, auch wenn jeder nach seiner Fasson seelisch werden soll. Von Kaki (d.i. Reinhard Koester).

20.04.1931: Heft 3: Karikatur zu lesbischen Frauen: Freundinnen“ S. 32. Über das Klischee der männerverachtenden Lesben, die einen Vater für die eigene Existenz benötigten. „Ich kann es Mama niemals verzeihen, dass Vater ein Mann war“. Von Jeanne Mammen.

18.05.1931: Heft 7: Karikatur über lesbische Frauen: Aufklärung“ S. 79. Bisher waren Männer für Fortpflanzung notwendig. Jetzt fehlt ihnen „jede moralische Existenzberechtigung“. Von Josef Fenneker.

22.06.1931: Heft 12: Karikatur über lesbische Frauen: Sensation“ S. 137. Eine Lesbe legt sich zu ihrem „männlichen Typ wieder eine weibliche Seele bei, das ist letzter Schick“. Von Jeanne Mammen.

20.07.1931: Heft 16: Satirisches Gedicht Völkischer Bubisang“ mit einer Karikatur über Ernst Röhm bzw. „Osaf“ (Oberster SA-Führer) S. 182. Gedicht von Peter Scher. Zeichnung von TTH (d..i. Thomas Theodor Heine. Es gibt nur noch einen weiteren Röhm-Beitrag unter 16/23/274 – aber ohne Hinweis auf Homosexualität, sondern nur Kritik, dass er bleibt. S.a. mein Artikel auf queer.de über die Karikaturen über Ernst Röhm ab April 1931).

Simplicissimus, 1932/33. (37. Jg.:

15.05.1932: Heft 7: Karikatur über eine Polizeirazzia in einer Schwulenbar: Tragik“ S. 80. Über echte „Männerfreundschaft“ die von vielen gewünscht, aber von der Polizei strafrechtlich verfolgt wird. Von Paul Scheurich.

Die beitragenden Personen

Karl Arnold – von „schmutziger Wäsche“ und lesbischer Liebe

Von dem Zeichner, Maler und Karikaturist Karl Arnold (1883-1953) wurde am 23. September 1907 seine erste Zeichnung im „Simplicissimus“ gedruckt; 1913 durfte er erstmals auch ein Titelblatt gestalten. 1917 wurde er Teilhaber der GmbH, in der sich die führenden Zeichner der Zeitschrift die Besitzrechte an dem Zeitschriftentitel teilten. Bis zum Herbst 1942 veröffentlichte Arnold hier mehr als 1800 Zeichnungen.

Dazu gehören auch fünf schwul-lesbische Karikaturen, die Schärfe haben. Eine Karikatur über das sprichwörtliche Waschen von „Schmutzige(r) Wäsche“ im Eulenburg-Prozess stammt aus der Wilhelminischen Zeit (1907/34/536). In der Weimarer Republik schuf er eine Karikatur, wo eine offenbar lesbische Frau offenbar entsetzt darüber ist, dass ein Mann gar nicht „pervers“ ist (1923/18/224). Sie hat erkannt, dass nicht nur schwule Männer aus politischen Gründen die Nähe zu Lesben gesucht, sondern dass Lesben haben halt schon immer auch heterosexuelle Männerphantasien angesprochen haben. Auch die Karikatur „Wie sag ich's meinem Kinde“ (1924/27/364) stammt von Karl Arnold. Zum Besuch von Josephine Baker“ schuf er vier (zum Teil als rassistisch wahrnehmbare) Karikaturen. In einer stellt er Baker unter der Überschrift „Jubel auf Lesbos“ als Ikone der Lesben dar (1928/44/602). Eine weitere Karikatur von Arnold war bei queer.de schon öfter zu sehen: „Lotte am Scheidewege“ (1925/5/79), die ich mit der thematisch ähnlichen Karikatur „Die vermännlichte Damenmode“ („Ulk“, 1924/41/162) hier auf queer.de schon einmal verglichen habe.

Ernst Barlach – über den Geist eines Toten

Ernst Barlach (1870–1938) kennt man heute vor allem als prominenten bildenden Künstler, der aber auch auf ein umfangreiches zeichnerisches und literarisches Werk hinterlassen hat.

Von ihm ist nur ein Beitrag im homosexuellen Kontext in der Zeitschrift zu finden. „In der Ahnengruft“ (1907/33/527) ist der Geist eines Toten beunruhigt, weil ihn die „Liebenberger Tafelrunde“ zitiert. Weil der Artikel am 11. November 1907 erschien ist anzunehmen, bezieht sich die Karikatur vermutlich auf den ersten Prozess Moltke gegen Harden (23.–29.10.1907). Es ist schade, dass auch das Ernst Barlach Haus zu diesem Werk nur technische Angaben, aber leider keine Einbettung in den zeitgeschichtlichen Kontext bietet.

Hans Erich Blaich – mit Popo-Provokationen

Hans Erich Blaich (1873-1945) war ein deutscher Arzt, Schriftsteller und Lyriker. Sein Pseudonym Ratatöskr benutzte er für politische Lyrik. Volker Hoffmann gab das Buch „Ausgewählte Werke des „Simplicissimus“-Dichters Hans Erich Blaich, Dr. Owlglass“ (1981) heraus.

Das Pseudonym Ratatöskr verwendete Blaich auch für drei Gedichte zum Eulenburg-Prozess, wobei ihn die anale Lust der homosexuellen Männer besonders zu interessieren scheint. In seinem Gedicht „Aus Süd und Nord“ erinnert die Zeile „Was kocht Herr Harden noch Spinat?“ (1907/13/211) an die (veraltete) Beleidung von Schwulen als „Spinatstecher“. In seinem Gedicht „Harden“ betont er, dass es stinkt und dass Harden da seine Nase reinsteckt. „Mißlingst von vorn, gelingt’s evt. A Posteriori“ (=hintere, folgende – 1907/33/531). Deutlicher wird er dann einige Jahre später in seinem Gedicht „Ministerwechsel“ (1910/14/230), wo er die Formulierungen „hinterrücks“ und „wetzen nun privatim den Popo“ verwendet. Es ist leider nicht unüblich, auf diese oder eine ähnliche Weise, Schwule auf Sex und den Sex von ihnen auf Analverkehr zu reduzieren.

Olaf Leonhard Gulbransson

Olaf Leonhard Gulbransson (1873-1958) war ein norwegischer Maler, Grafiker und Karikaturist, der als Zeichner des „Simplicissimus“ internationale Bekanntheit erlangte.

Mit 12 Beiträgen von 1907 bis 1929 über Homosexualität ist er bei diesem Thema der fleißigste Beitragende gewesen. Seine neun Karikaturen zum Eulenburg-Affäre habe ich größtenteils schon oben aufgegriffen. (1907;34/534; 1908/42/700; 1908/12/203; 1908/18/316; 1909/9/151 und 1911/34/578). Drei davon wurden sogar auf dem Cover der Zeitschrift abgedruckt (1907/34/533; 1908/43/701 und 1908/17/285). In drei Karikaturen in der Weimarer Republik macht er nicht eindeutige Geschlechterrollen (1926/2/40; 1928/46/620) und einem Jungen zum Thema, der auf einer Party vor Magnus Hirschfeld beschützt werden muss (1929/44/568).

Ernst Heilemann – dezente Anzüglichkeiten

Ernst Heilemann (1870-1936) war Maler, Zeichner, Graphiker und Karikaturist, der für seine "humorvollen Texte mit ihren kleinen Anzüglichkeiten" bekannt war. Für den „Simplicissimus“ lieferte er zwischen 1898 und 1912 fast 190 Zeichnungen. Heilemann stellte „das mondäne großstädtische Leben“ in Berlin dar und „verstand es, insbesondere seinen Frauenporträts eine besondere Ausstrahlung zu geben“ (Wikipedia).

Auch in allen Karikaturen, die ich hier dokumentiert habe, geht es um das mondäne großstädtische Leben in Berlin (1907/33/517: 1907/33/520 und 1907/34/ 547. S.a. 1907/33/516). Es ist allerdings auffällig, dass es bei keinem seiner Karikaturen einen direkten Bild-Text-Zusammenhang gibt. Die Texte über und unter dem Bild scheinen nicht gemeinsam mit der Zeichnung entstanden, sondern später als passend ergänzt worden zu sein. Ernst Heilemann kann anhand der Qualität der Zeichnung bewertet werden. Die politische Bewertung der Karikatur, sollte jedoch nicht mit Ernst Heilemann in Verbindung gebracht werden, der vielleicht nur austauschbare zeichnerische Vorlagen lieferte.

Thomas Theodor Heine – brutale Cover und Ernst Röhm

Der deutsch-schwedischer Maler, Zeichner, Gebrauchsgraphiker und Schriftsteller Thomas Theodor Heine (1867–1948) lernte 1895 den Verleger Albert Langen kennen, der ihn im Jahr darauf an der Konzeption des „Simplicissimus“ beteiligte und die Heine seit ihrem ersten Erscheinen mit seinem markanten Zeichenstil bis 1933 prägte. Aus seiner Feder stammt auch das Logo der Zeitschrift, die rote Bulldogge (Wikipedia).

Damit ist er wohl der einflussreichste der hier genannten Karikaturisten. Von seine Karikaturen über Homosexualität (wie 1908/1/5; 1909/7/106) wurden sieben sogar auf dem Cover der Zeitschriften abgebildet (1907/33/515; 1907/36/573; 1908/6/97; 1908/8/133 und 1908/10/165). Zwei von Ihnen gehen meiner Meinung nach zu weit: Den schwulen Freundeskreis um Kaiser Wilhelm II. stellt er als Giftpflanzen vor, die mit Feuer zu vernichten sind (1907/12//181) bzw. als eine tausendköpfige Hydra, der man die Köpfe abhacke (1909/40/681). Es sind die brutalsten Bilder mit Bezug au die Eulenburg-Affäre. Seine Karikatur über die Giftpilze ziert das Buchcover von Peter Winzens: „Freundesliebe am Hof Kaiser Wilhelms II.“ (2010), auch wenn sie weit davon entfernt ist, selbsterklärend zu sein. Zeitlich erstaunlich weit abgesetzt ist seine Karikatur über den SA-Chef Ernst Röhm (1931/16/182), die auch 1931 als mutig anzusehen ist. Er wurde mit einem weiblichen Becken, Brüsten und homosexuell wirkender Gestik gezeichnet. Die Karikatur steht auch wegen dem daneben abgedruckten Gedicht von Peter Scher (s.u.) in einem Kontext der gegen Röhm gerichteten Denunziationskampagne au homosexueller Grundlage.

Ludwig Kainer – subtiles zu lesbischer Liebe

Ludwig Kainer (1885–1967) war ein deutscher Grafiker, Zeichner, Maler, Illustrator, Filmarchitekt und Kostümbildner. Ich bin hier auf queer.de schon einmal auf ihn eingegangen, weil er die zweite Auflage von Granands „Das erotische Komödien-Gärtlein“ (1920/1921) mit homoerotischen Zeichnungen von Jünglingen illustrierte. Für den „Simplicissimus“ lieferte er bis 1930 mehr als 200 Beiträge.

Dazu gehören auch drei ganzseitige bunte Karikaturen über Lesben: In Legitim“ geht es um ein küssenden Frauenpaar, dass sich auch über das Heiraten austauscht (1927/47/640), in Das Alibi“ um eine Frau, die sich lieber mit Tieren als mit Männern fotografieren lässt (1927/49/656) und in Crème“ um eine koksende und „perverse“ Frau, deren Genießen keine Grenzen kennt (1927/37/500). Die Karikaturen überzeugen nicht nur durch Eleganz und feinen Pinselstrich, sondern auch durch ihre emanzipatorische und subtile vermittelte Botschaft, die Doppelmoral angreift und „pervers“ eben nicht mit Homosexualität gleichsetzt. Der Humor ist subtil und der homosexuelle Kontext (vielleicht mit Ausnahme von Heft 47) erschließt sich nicht unmittelbar. Ich bin positiv darüber überrascht, dass dieser Kontext überhaupt erkannt und von den Machern der Homepage entsprechend verschlagwortet wurde.

Erich Kästner – „schreit nicht dauernd wie am Spieß“

Erich Kästner (1899–1974) war ein deutscher Schriftsteller, Publizist, Drehbuchautor und Kabarettdichter. Seine publizistische Karriere begann während der Weimarer Republik mit gesellschaftskritischen Beiträgen. Von ihm stammen Werke wie „Emil und die Detektive“ (1931) und „Das fliegende Klassenzimmer“ (1933).

Im „Simplicissimus“ wurde sein Gedicht Ragout fin de siècle“ (1930/19/226) nachgedruckt. Es handelt von „sexualpathologischen“ Tanzlokalen, wobei Kästner zum Ausdruck bringt, dass es ihm ziemlich egal ist, wer mit wem Sex hat, aber er stört sich an der von ihm als zu laut empfundenen Emanzipationsbewegung – „schreit nicht dauernd wie am Spieß“. Das Gedicht erschien erstmals in dem Buch „Ein Mann gibt Auskunft“ (1930) und wurde seit dieser Zeit mehrfach nachgedruckt, im Theater aufgeführt und auch vertont. Als historisch bedeutendes Tondokument ist auch enthalten in Ralf J. Rabers Kompilation: „Ich will, dass es das alles gibt! – Homosexualität auf Schallplatte (2004) (homowiki).

Reinhard Koester – Texte zu Hirschfeld und dem Strafrecht

Der Schriftsteller Reinhard Koester (1885-1956) war seit 1924 ständiger Mitarbeiter des Simplicissimus und soll hier unter seinen Pseudonymen Karl Kinndt bzw. Kaki diverse Beiträge verfasst haben.

Unter diesen beiden Pseudonymen sind drei Textbeiträge über Homosexualität zu finden, die aufgrund der unterschiedlichen Positionierungen jedoch Zweifel an der gemeinsamen Autorenschaft von Reinhard Koester aufkommen lassen. Als Karl Kinndt schrieb er ein Gedicht über eine „sexuelle Zwischenstufe“ und Magnus Hirschfeld, die Im Eldorado zu singen“ ist. Sie verdiene viel Geld, werde im Museum ausgestellt ist und jede Person möchte mit ihr Sex haben (1930/42/516).

Als Kaki kritisiert er, dass es der Staatsanwalt mit der strafrechtlichen Verfolgung der Homosexuellen nicht so genau nimmt, weil die Berliner Lokale doch alleine schon einen Grund zum Eingreifen geben würden (1931/1/10). Abweichend davon hatte er sich als Kaki jedoch noch kurz zuvor in einen Berliner Brief“ äußerst liberal gegeben: Die (zu diesem Zeitpunkt geplante) Aufhebung des § 175 habe keine großen Wellen geschlagen, da „schon lange und in weiten Kreisen eher die nicht anormale Liebe verpönt war“. Die Aufhebung des § 175 entspräche (vor dem Hintergrund nicht kriminalisierter Lesben) sogar der Gleichberechtigung von Frau und Mann (1929/33/401).

Karl Kraus – befremdliches über den „Zauberbann der Homosexualität“

Karl Kraus (1874–1936) war ein österreichischer Schriftsteller, Publizist, Satiriker und Lyriker. Zu seinem Hauptwerk gehört die Zeitschrift „Die Fackel“, die er von 1899 bis 1936 herausgab. Vor einem halben Jahr habe ich diesen Autor auf queer.de noch gelobt, weil er sich vor der Eulenburg-Affäre deutlich gegen die Kriminalisierung schwuler Männer aussprach.

Auch unter Berücksichtigung, dass es sich dabei um Satire handelt, bin ich über zwei Textbeiträge von ihm im „Simplicissimus“ über Homosexualität recht irritiert. In Der eiserne Besen“ (1908/14/238) unternimmt Kraus den Versuch, Goethes Ballade „Der Zauberlehrling“ mit der aktuellen Bedeutung von Homosexualität zu verbinden, wo in dem fiktiven Ort Bettenhausen die gesamte Bevölkerung vom Zauberbann der Homosexualität gefangen ist. Früher war es ein Skandal, dass man Nachwuchs beseitigte (§ 218), heute gibt man sich noch nicht einmal Mühe, ihn herbeizuführen (§ 175). Man brüstet sich mit Bisexualität und „jeder schämte sich, normal zu sein“. Früher hat man hochgestellten Persönlichkeiten aus Respekt nicht den Rücken zugedreht, heute macht man dies „aus Vorsicht“. „Hinter dem Rücken“ habe nun einen „sinnlichen Beigeschmack“. Beides sind niveaulose Anspielungen auf Analverkehr. Der Ort Bettenhausen starb aus, aber zwei Männer, die sich als „normal“ erwiesen, retteten die Menschheit. In Entwicklung“ (1908/18/315) geht es in vier Sätzen über den Umgang mit Homosexualität. Dazu habe – so Kraus – die Bibel „wertvolles Material geliefert“ und zitiert den Passus, wo die Stadt Sodom durch Schwefel vernichtetet wurde. Daraus könnte man den Wunsch zur Vernichtung der Homosexuellen ableiten.

Jeanne Mammen – die einzige Frau und ihre Einstellung zu Lesben

Die Malerin und Zeichnerin Jeanne Mammen (1890–1976) festigte in den Zwanzigerjahren ihren Ruf als Zeichnerin für den „Simplicissimus“, den „Ulk“ und als Mitarbeiterin für die Kunst- und Literaturzeitschrift „Jugend“. Auf zahlreichen Zeichnungen „verewigte sie in leichtem Pinselstrich und unverwechselbaren Farben die Licht- und Schattengestalten der Großstadt Berlin, dabei auch das Bild der ‚neuen Frau‘ zeichnend, die sich nicht nur zum männlichen Geschlecht hingezogen fühlt“ (Wikipedia).

Sie war die einzige Frau, die im „Simplicissimus“ Beiträge im homosexuellen Kontext veröffentlichte: In einer Karikatur über Lesben machte sie sich über das Klischee der männerverachtenden Lesben lustig, die trotzdem einen Vater für die eigene Existenz benötigten (1931/3/32). In einer anderen Karikatur über lesbische Frauen macht sie sich über wechselnde Geschlechterrollen lustig, die sie als Modeerscheinung darstellte. (1931/12/137). Es ist Satire, die nicht jedem/jeder gefällt und auch nicht gefallen soll.

Wilhelm Schultz – die Gerechtigkeit nimmt Schaden

Der Karikaturist, Maler und Dichter Wilhelm Schulz (1865-1952) hat insbesondere für den „Simplicissimus“ und als Buchillustrator gearbeitet. Neben Eduard Thöny war er der einzige Zeichner, der vom ersten bis zum letzten Jahrgang der Zeitschrift Beiträge lieferte. 1906 wurde er Teilhaber der GmbH, von der die Zeitschrift seit dieser Zeit herausgegeben wurde.

Drei eher unbedeutende Beiträge stehen im Kontext der Eulenburg-Affäre: Seine Karikatur über Schwule, die aus Deutschland fliehen musste, erschien sogar auf dem Cover der Zeitschrift (1907/30/463). In zwei weiteren Karikaturen (1908/7/132; 1911/48/817) ging es ihm darum, wie Justitia bzw. die von ihr verkörperte Gerechtigkeit durch den Prozess Schaden nahm.

Peter Scher – mit dem einzigen Beitrag zum schwulen Röhm

Peter Scher (eigentlich Fritz Hermann Schweynert, 1880–1953) war ein deutscher Schriftsteller und Journalist, der von 1914–1916 und von 1919–1930 auch der Chefredakteur des „Simplicissimus“ war.

Unter seinem Pseudonym „Emanuel“ verfasste er den Text Jener ältere Herr im Grunewald“ (1919/14/185), wobei seine Andeutungen wie „Hosentüren von Liebenberg“ und „parfümierter Handschuh“ Signalwörter im Kontext vom Eulenburg-Prozess sind. Unter dem Nehmen „Peter Scher“ schrieb er mit „Entartet“ (1927/47/622) ein Gedicht über Oscar, der seit „einer Woche homosexuell“ ist. Aufgrund der Parallelen zu den Prozessen gegen Oscar Wilde wegen Homosexualität 1895 ist der Name „Oscar“ möglicherweise an diesen Schriftsteller angelehnt. Besondere Beachtung verdient sein satirisches Gedicht Völkischer Bubisang“ (1931/16/182), weil es der einzige im „Simplicissimus“ gefundene Beitrag ist, der Anspielungen auf die Homosexualität des „Osaf“ (Obersten SA-Führers) Ernst Röhm enthält („Süßer Osaf, du bist zauberhaft gebaut“, Puppchen huch“). Sein Beitrag erschien im Juli 1931, als es noch eine freie Presse gab, aber man bereits Angst vor der SA haben musste. Die gegen Röhm und seine Homosexualität zielende Presse-Kampagne hatte einige Monate zuvor im April 1931 begonnen (siehe queer.de).

Edgar Steiger – Gedichte mit analen Anspielungen und zum § 175

Der deutsch-schweizerische Schriftsteller und Journalist Edgar Steiger (1858-1919) zog 1898 nach München. „Dort wurde er vielbeschäftigter Mitarbeiter, besonders der renommierten Zeitschriften ‚Jugend‘ und ‚Simplicissimus‘. Für letztere Zeitschrift lieferte er bis zu seinem Tod mehr als 400 Texte, deren satirische Schärfe und Brillanz ihn neben Ludwig Thoma u. a. zu einem der vier „Hausdichter“ machte“ (Wikipedia).

Zwei seiner Gedichte handeln vom Eulenburg-Skandal und beinhalten anale Andeutungen wie „Hintertreppe“ (1907/12/195) und „Hämorrhoiden“ (1907/33/531). Das zweite Gedicht heiß „Jus primae noctis“ (=Das Recht der ersten Nacht), womit er kritisiert die auch sexuell ausgenutzten hierarchischen Abhängigkeitsverhältnisse. Zwei weitere Gedichte handeln vom § 175beklagt , wo er die Ungerechtigkeiten des Justizsystems („Einer so, der andere so – § 175 kitzelt wie im Ohr ein Flo“ (1907/34/551) und eine neue Zeit beschreibt –  die „Zeit des § 175“ (1908/19/331).

Ludwig Thoma – ein homophober und antisemitischer Populist

Ludwig Thoma (1867–1921) war ein deutscher Schriftsteller, der durch seine Schilderungen des Alltags und der Politik früher recht populär war, aber aufgrund seiner reaktionären und antisemitischen Veröffentlichungen auch kritisch gesehen wurde und wird. Schon 2020 habe ich hier auf queer.de im Zusammenhang mit dem Überfall auf Magnus Hirschfeld auf seine homophoben und antisemitischen Äußerungen verwiesen.

Unter seinem Pseudonym Peter Schlemihl schrieb er im „Simplicissimus“ fünf Gedichte zum Eulenburg-Skandal, bei dem er der Erwartungshaltung an homophobe Texte fast immer gerecht wird. In seinem Gedicht „Kamarilla“ (1907/13/198) betont er, dass es „stinkt“, in „An die Herren Hofprediger“ (1907/33/518) schreibt er von „Unkraut“ und einem „Saustall“ und in „Der neue Stil“ (1908/6/98) kritisiert er einen möglichen Freispruch. Sein Gedicht „Moltke – Harden“ (1907/32/498) mit der Zeile Diese Frage liegt nun so: Homo oder hetero? Ist er liebenswert und nett? Taugt er was im Ehebett?“ ist etwas weniger scharf formuliert. Sein Gedicht Ergebenstes Ersuchen an die Berliner“ (1907/34/534) enthält mit den Zeilen „Und sprecht nicht immer vom Popo! Versucht es nur, es geht auch so“ eine Anspielung auf Analverkehr und ist eine Kritik an der als zu aufdringlich empfundenen Berichterstattung zu homosexuellen Themen.

Eduard Thöny – von schwulen Soldaten und lesbischen Frauen

Der österreichische Zeichner, Karikaturist und Maler Eduard Thöny (1866-1950) zählte zu den „produktivsten Mitarbeitern“ der Zeitschrift, für die er über 3.000 Karikaturen schuf. Für sein zeichnerisches Werk „ist ein photographischer Blick charakteristisch, der gleichwohl in den Duktus einer ebenso schwungvollen wie treffsicheren Handschrift übersetzt wird“. Seine Lieblingsthemen waren die Gesellschafts- und Militärkarikatur“ (Wikipedia).

In der Kaiserzeit griff er im Kontext der Eulenburg-Affäre mit sechs homosexuellen Karikaturen vor allem das Leben der Soldaten auf (1907/33/518; 1907/33/531; 1907/33/532; 1907/34/552; 1908/6/98 und 1908/18/305). In den Jahren 1920 bis 1930 ging es in sechs weiteren Karikaturen um Politik und den § 175 (1921/1/11; 1924/35/484), wobei es zwei Mal auch um die jeweilige Reichstagswahl ging (1920/10/148; 1930/25/297). Aus seiner Feder stammen auch zwei zurückhaltende Karikaturen zu lesbischen Frauen. Im Zug der Gleichberechtigung möchten jetzt auch schon Dienstmädchen „pervers“ (=homosexuell) sein (1927/16/216 (oben rechts); und es gibt Frauen, die gar keine Verwendung mehr für Männer haben (1928/47/642).