Was schwule und lesbische Zeitschriftentitel über die Geschichte der Bewegung erzählen

In den schwulen und lesbischen Archiven, wie es sie in Berlin, Köln und anderen Orten gibt, werden zehntausende von Schwulenzeitschriften aufbewahrt, die sich mittlerweile auf mehr als 500 deutschsprachige Zeitschriftentitel verteilen. In erster Linie sind es deren Inhalte, die seit mehr als einhundert Jahren die Selbst- und Fremdbilder einer sich ständig verändernden und meistens recht lebendigen Szene wieder spiegeln. Aber auch die Zeitschriftentitel verraten viel über eine Bewegung auf der Suche nach Emanzipation und sich selbst. Mit einem Blick auf diese Titel möchte ich im folgenden (unwissenschaftlich) auf die Bewegung der vorigen hundert Jahre zurückblicken.

 

1896-1918

Der Beginn der Bewegung wird zunächst durch zwei Richtungen bestimmt: Die eine um Adolf Brand und die Gemeinschaft der Eigenen gibt sich literarisch (Der Eigene, 1896) und ist den eigenen Leuten gewidmet, die auf ihre Eigenheit stolz sind. Die andere um Magnus Hirschfeld und das Wissenschaftlich humanitäre Comitee gibt sich dagegen wissenschaftlich distanziert, was sich im Untertitel unter besonderer Berücksichtigung von Homosexualität (Das Jahrbuch für sexuelle Zwischenstufen, 1899) ausdrückt. Als bekanntester Repräsentant der frühen Homosexuellenbewegung schmückt der Name Magnus Hirschfeld selbst Jahrzehnte später noch eine Gesellschaft, eine Stiftung und ein Schwulen- und Lesbenzentrum, sodass sein Name bis heute über die Titel der jeweiligen Veröffentlichungen präsent ist. Die bundesweit vertriebene Zeitschrift Magnus (1989-1996) griff auf seinen Vornamen zurück.

Die sexualwissenschaftliche Forschung stand damals am Anfang. Warum sich nach den damaligen Vorstellungen überhaupt eine weibliche Seele in einem männlichen Körper befinden konnte, wollte unter anderem Der Seelenforscher (1902) erkunden.

 

1919 bis 1933

Im Jahr 1919 dankte das repressive Kaiserreich ab. In den Untertiteln der Schwulen-Zeitschriften geht es nun um Befreiungskampf (Die Freundschaft, 1919) und um Bewegung (Das Freundschaftsblatt, 1925). Das mach klar, dass nun ein breiteres Publikum angesprochen wird. Die Freundschaft und andere Zeitungen werden sogar – wenn auch nur für einige Jahre – am Kiosk verkauft. Die Zeitschriftentitel belegen die Strategie der Homosexuellenbewegung der 1920er Jahre: Man fordert grundsätzliche Menschenrechte ein (Blätter für Menschenrecht, 1923) und betont die Freundschaft. Wenn im Untertitel der ersten Lesbenzeitschrift Die Freundin (1924) nur ideale Freundschaften propagiert werden oder Das Freundschaftsblatt (1925) im Untertitel vorsichtig homoerotische Interessen betont, sollte dies wohl aus taktischen Gründen von möglichen sexuellen Absichten ablenken. Ansonsten spiegeln die Zeitschriftentitel auch die Träume von einer besseren Zukunft (An sonnigen Ufern, 1924; Insel, 1923), die nachvollziehbare Verklärung der Antike (Hellasbote, 1923) und ein klein wenig Aufbruchstimmung (Fanfare, 1924) wider. Mit Das dritte Geschlecht (1928) soll die Selbständigkeit einer sexuellen Orientierung konstatiert werden. Erst mit der NS-Zeit ist im März 1933 alles abrupt vorbei – zumindest in Deutschland.

 

1933 bis 60 Jahre

Schon früh hatten sich in der Schweiz schwule Männer zu einem Kreis von Aktivisten zusammen-geschlossen und die Zeitschrift Der Kreis (ab 1943, Vorgänger ab 1933) gegründet. Homosexualität wurde in Deutschland verstärkt verfolgt – und die letzte deutschsprachige und damals weltweit einzige Homosexuellenzeitschrift überlebte viele Jahrzehnte nur im Schutz der Schweizer Neutralität. Fangen Schwule und Lesben nach 1945 wieder bei Null an oder wiederholt sich Geschichte? Auf jeden Fall wiederholen sich in den 1950er Jahren die Themen und Titel der 1920er Jahre: Die Einforderung von Menschenrechten (Humanitas, 1954), die Betonung der Freundschaft (Die Freunde, 1951, Amigo, 1962) und die immer verklärte Antike (Pan, 1951; Hellas, 1953). Die Begeisterung für das antike Griechenland wird in den Jahrzehnten danach zurück gehen und in Titeln nur noch selten anklingen (Adonis, 1983; MannEros, 1990; Torso, 1984).

Mit der 68er Bewegung formiert sich erstmals eine Schwulenbewegung und 1969 wird in Westdeutschland Homosexualität zwischen erwachsenen Männern legalisiert. Obwohl die Schwulenbewegung auch durch den Stonewall-Aufstand von 1968 in New York beeinflusst wird, schlägt sich dies erst Jahrzehnte später in einem Zeitschriftentitel nieder (Stonewall, 1991). Weil man nicht auf das Sexuelle reduziert werden möchte, und um Gegnern der Homosexuellenbewegung keine Angriffspunkte zu bieten, taucht in den 1960er bis Anfang der 1970er Jahre der Begriff homophil in einigen Untertiteln auf (Amigo, 1964; club68, 1971).

 

70er Jahre

Mit der Legalisierung im Rücken wächst langsam das Selbstbewusstsein. Die erste kommerzielle Zeitschrift nach der Reform Du und Ich (1969) signalisiert mit ihrem Titel Selbstverständlichkeit und die Möglichkeit Kontakte zu schließen. In der nicht-kommerziellen Bewegung der 70er und 80er Jahre erscheinen viele Mitteilungen und Infoblätter von Gruppen, die vor allem aus Abkürzungen bestehen (HAB, Bremen, 1973; HAH, Hamburg 1973; IHM, Mainz 1979; AHA, Berlin 1979). Die Arbeitskreise, Aktionen und Initiativen tragen alle selbstbewusst das Wort homosexuell im Namen. Erst Ende der 70er Jahre werden aus den Homosexuellen langsam Schwule. Aus einer Beleidigung wird nun eine positive Selbstbezeichnung. Die Berliner Schwulenzeitung (1978) ein vermutlich vieldiskutierter Tabubrecher. Unter Homosexuelle werden Lesben bis dahin subsumiert – auch wenn sie zunächst nicht präsent waren. Wie in der Weimarer Republik positionieren sie sich erst etwas später auch mit eigenen Zeitschriften (Die kleine, 1972; Lesben-Presse, 1975; UKZ - Unser kleine Zeitung, 1975) und zeigen sich über die Titel recht bescheiden. Mit mehr als 35 verschiedenen Zeitschriftentiteln ist Anfang der 70er Jahre die Farbe Rosa als Teil eines Zeitschriftennamens (z.B. Rosa Flieder, 1979) sehr beliebt und hält sich bis in die 90er Jahre hinein. Zur Stärkung der sexuellen Identität werden ab Ende der 70er Jahre in Publikationsnamen auch Symbole eingesetzt. Die ursprüngliche KZ-Stigmatisierung durch den Rosa Winkel (Rosa Winkel, 1975) wird in ihrer Bedeutung ins positive gewendet. Auch der griechische Buchstabe Lambda (Lambda, 1979) wird als Symbol für Schwule und Lesben eingeführt. Er steht hier für Libertas, das lateinische Wort für Freiheit. Bei Lesben wird als Symbol die kämpferische Doppelaxt verwendet (Doppelaxt, 1978), das auch aus der Frauenbewegung bekannt ist. In den 90ern taucht in Titeln auch der Regenbogen auf (Regenbogenpresse, 1998) und verdrängt als positiv besetztes Lifestyle-Zeichen, das um Mitleid heischende und nur auf die Vergangenheit fixierte Rosa Winkel-Symbol.

Auch Minderheiten innerhalb der Minderheit artikulieren sich. In den 70er Jahren erscheint das Periodikum Adressen zur schwulen, pädophilen, lesbischen Emanzipation. Einige Jahre später wird die Schwulen- und Lesbenbewegung in Bezug auf Pädophile sich sehr deutlich distanzieren. Dagegen fängt die Lederszene erst langsam an sich zu formieren. Nach Vereinsgründungen in den 60er Jahren tritt man in den 70er Jahren erstmals mit Mitgliederzeitschriften zumindest an die interne Öffentlichkeit. Die Lederszene zeigt sich über die Zeitschriftentitel hart (Panther-Info, 1976; Löwenspiegel, 1979; später Kette, 1988) und schmückt sich mit preußisch-tugendhaften Begriffen (Disziplin, 1974; Zucht und Ordnung, o.J.; Drill, 1980).

 

80er Jahre

In den 80ern will man sich immer weniger verstecken – auch nicht mehr hinter neutralen Zeitschriftentiteln wie Emanzipation, die man 1980 deutlich und fordernd in Homosexuelle Emanzipation umbenennt. Die Homosexuellen-Bewegung wird nun eine Schwulen- bzw. Lesbenbewegung. In seltenen Fällen ist man auch mal Andersrum (Drei gleichnamige Titel, 1982, 1984, 1994, s. a. den schweizerdeutschen Titel Anderschume Kontiki, 1985) oder stammt vom anderen Ufer (Anderes Ufer, 1978) oder aus einer anderen Welt (Die andere Welt, 1990). Auch das Rosa hat bei Zeitschriftentiteln noch lange nicht ausgedient (Rosa Düsseldorf, bis 1990; Rosa Flieder, bis 1996). Nur wenn man wissenschaftlich distanziert arbeitet (Homosexualität und Literatur, 1987) oder sich in konservativen Kreisen bewegt (HUK-Homosexuelle und Kirche, 1980) scheint es besser zu sein, wenn man homosexuell und nicht schwul bzw. lesbisch ist.

Von Ausnahmen abgesehen (Mister SM, 1974; International Man, 1975; Toy, 1979) war bis in die 80er Jahre hinein deutsch die Sprache der Titel im schwul-lesbischen Blätterwald. Damit wird nun endgültig gebrochen und Englisch bzw. Denglisch wird hipp (Adam International, 1983; Come out, 1988; First, 1988). Englische Titel findet man vor allem in Verbindung mit einem neuen amerikanischen Modewort für schwul: gay (Gay News Germany, 1980; Gay Guide, 1980; GLF, 1981). In den 80er und 90er Jahren findet sich Gay auf mehr als 40 deutschsprachigen Zeitschriftentiteln – mit zum Teil angestrengten Wortspielen wie Gaymeinsam (1993) und Gayzette (1994).

Durch die Vergrößerung und Differenzierung der Szene werden ab den 80er Jahren in den Zeitschriften auch erstmals viele Spezialinteressen abgedeckt – von Film über Musik bis zur Geschichte (Die schwule Presseschau, 1982; Hermann über Musik, 1984; Capri über Geschichte, 1987; später auch Literatussi, 1990; Rundbrief Film, 1995). Diverse schwul-lesbische Interessengruppen, die sich ab Ende der 70er Jahre bei Kirchen, Parteien und Gewerkschaften bilden, bereichern nicht nur die Gesellschaft, sondern auch den Zeitschriftenmarkt (Rundbrief ÖTV, 1983; Delsi als demokratische Lesben und Schwuleninitiative, 1986; später auch Rundbrief PDS, 1991; Rosa Vorwärts 1993). Selbst sexuelle Vorlieben, von denen viele gar nicht wussten, dass es sie gibt, werden so bekannt. So bietet Der Hamburger (1994) ein Forum für Schwule, die auf dicke Männer stehen.

Mitte der 80er Jahre reicht ein Blick auf die Cover, um eine deutliche Professionalisierung der Strukturen zu erkennen. Der Grund dafür ist eine Zäsur im schwulen Leben: Durch HIV/AIDS werden Gelder für Präventionskampagnen zur Verfügung gestellt, die indirekt zur Professionalisierung der schwul-lesbischen Printmedien beitragen. Es ist eine teuer bezahlte Professionalisierung.

Spannend ist ein Blick auf die Titel von Lesbenzeitschriften. Einige Titel spiegeln wider, dass sich die Lesben eher bei den Frauenrechtlerinnen als bei den Schwulen politisch zuhause fühlen. (Diverse Publikationen von Frauen- und Lesbenreferat wie der Emanzen-Express ab 1986.). In einigen Fällen wählt man recht ungewöhnliche Frauennamen (Kassandra, 1988; später auch Ella, 1990; Mathilde, 1995; Trulla, 2001) um in Opposition zu gewöhnlichen Frauenzeitschriften zu gehen, durch die sich lesbische Frauen nicht repräsentiert fühlen. Auch Emma (1977) gehört in diese Tradition. Fällt der Titel dann doch etwas kämpferischer aus, (in den 70ern: Lesbenfront, 1975; Kratzbürste, 1978; Doppelaxt, 1978; Bloody Mary, 1984; später: Python, 1990) fehlt es fast nie an einem ironischen Augenzwinkern. Die meisten lesbischen Zeitschriftentitel in diesen Jahren sind jedoch brav und eher trocken-neutral (Lesbenring, 1987, Lespress, 1982). Schwule scheinen dagegen gerne zu provozieren – ob ohne Wortspiele (Triebhaft, 1981; Lust, 1990; „…von hinten“-Reiseführer, ab den 80ern) oder mit Wortspiele (Banal, 1980; Anstoß, 1990; Annalen, 1991). Später lassen manche Titel keinen Zweifel über die Art des körperlichen Umgangs aufkommen (Coxx, 2006; Erexxxion, 2006). Bei Lesben dagegen gibt es keine Sexualität – zumindest nicht im Zeitschriftentitel.

 

90er Jahre

Schwule und Lesben arbeitet vermehrt zusammen. Die Gründe sind vielschichtig: Vielleicht ist es der neue Zeitgeist der politischen Korrektheit oder es geht ganz profan um finanzielle Zuschüsse für gemeinsame Projekte. So oder so wird aus der Rosa Buschtrommel 1994 die Rosalila Buschtrommel, Die schwule Presseschau wird 1995 Die lesbisch-schwule Presseschau und die Publikationen des SVD werden ab 1999 die des LSVD.

In den USA ist (das etwas dunklere) Pink mit dem deutschen Rosa als Signalfarbe vergleichbar. Nach dem Rosa entdecken Schwule nun auch das Pink für ihre Titel (Pink Power, 1991; Pink Pages, 1993; vorher Hamburg Pink, 1982). Es kann sich jedoch genauso wenig durchsetzen kann wie die Farbe Lila bei den Lesben (Lila Schriften, 1995; vorher schon Lila Lotta, 1981).

Ende der 90er Jahre wird ein neuer Begriff modern: Queer. Ein Wort, das verhindern soll in den Kategorien LGBT (lesbian, gay, bi, transsexuell / transgender) zu denken, ist allerdings genau genommen auch nichts anderes wie eine Kategorie und gleichzeitig so schwammig, dass sich nun niemand mehr ausgrenzt oder angesprochen fühlen kann. Queer wird der neue Name einiger Publikationen. Die größte von ihnen ist die Rosa Zone, die wegen ihrem verstaubt klingenden Namen nun in Queer umbenannt wird. Entgegen dem durch Queer zum Ausdruck gebrachten Anspruch bleibt sie allerdings eine Schwulen- und Lesbenzeitschrift.

 

Ab 2000

Die Vielzahl der schwul-lesbischen Stadtmagazine signalisiert eine Vielseitigkeit, die de facto nicht vorhanden ist, weil durch Fusionen und Kooperationen häufig die gleichen Cover und Inhalte vorliegen (Kooperationen von RIK, GAB, Hinnerk u.a.). Andere Zeitschriften bringen in einem immer schnelleren Tempo Regionalausgaben heraus (Queer, Blu, 2007; Sergej, 2005). Ohne die Zeitschriften zu lesen merkt man: Hochglanz, professionelles Design und immer neue Trends sind angesagt. Mit der Ruhe der ehrenamtlichen Bewegungsschwestern aus den 1970er und 1980er Jahren ist es jetzt endgültig vorbei!

Am Ende des alten und am Anfang des neuen Jahrtausends trennt man sich von langen Namen. Aus Raus in Köln wird RIK, aus Anderschume Kontiki 1997 die AK und aus der Nürnberger Schwulenpost 1998 die NSP. Auch die Zeitschriften-Neulinge bekommen kurze und knappe Namen (Die, 1996; G., 2000, G-Mag, 2007; L-Mag, 2003, Blu, 2007), die in einer schnelllebigeren Zeit wohl schneller auszusprechen sind. Neue Medien führen zu einer Krise auf dem Printmarkt. Mit PC-bezogenen Titeln (G@y-net-Life, 2000; Box.de, 2003) möchte man dieser Krise wohl den Kampf ansagen. Andere Medien gehen online und verzichten auf eine Papierausgabe (Lespress, Queer). Bei dem großen Angebot von Online-Magazinen bleibt das Printmediun – das man sich in alter Bewegungstradition i.d.R. gratis erwartet – eine schwierige Herausforderung. Viele Verkäufe unter Beibehaltung der alten Zeitschriftennamen zeigt eine deutliche Verunsicherung.

Das Cover wird weiterhin nicht nur die Visitenkarte der Zeitschrift, sondern auch das Spiegelbild des schwulen und lesbischen Zeitgeistes bleiben. Die Veränderungen der nächsten Jahre werden wohl sogar noch an Tempo zulegen. Möglicherweise werden Wortneubildungen wie Schwuppen nicht nur die Queers und LGBT, sondern auch die traditionsreichen Schwulen und Lesben auf den Titeln ablösen und für neue Inhalte und eine neue Identität bzw. neue Identitäten der nächsten Generation stehen.

 

Erwin In het Panhuis